Als ich vor knapp zwei Jahren bei diesem Fanzine anheuerte, hatte ich sicherlich mit vielem gerechnet. Nur, dass ich eines Tages in einer Reihe mit Journalisten der New York Times und der Zeit stehen würde, um über das langsamste Orgelstück der Welt zu berichten – das stand nicht auf der Liste.
Aber der Reihe nach. Im beschaulichen Halberstadt am Harz wird seit dem 5. September 2001 ein ganz besonderes Konzert gegeben: 639 Jahre soll die Interpretation von „Organ²/ASLSP“ dauern, ein Stück des amerikanischen Avantgardisten John Cage. Das kuriose Projekt erregte international Aufmerksamkeit, auch anlässlich der seltenen „Klangwechsel“, also Tonveränderungen im Stück, die nur alle paar Jahren vorkommen und von Cage-Jüngern sowie Medienmenschen aus der ganzen Welt entsprechend zelebriert werden. Passenderweise fiel einer dieser Termine genau in unseren Themenmonat über extreme Musik, den wir im September 2020 geplant hatten - der erste Klangwechsel nach über sieben Jahren. Selbstverständlich also, dass wir in Halberstadt dabei sein wollten. Der kleine Haken: Weder hatten wir die 200€ um eines der begehrten Tickets zu ergattern, noch die Reputation eines international agierenden Medienunternehmens. Entsprechend gedämpft waren die Erwartungen in der Redaktion, auch wenn wir bereits bei der Planung viel Spaß hatten. Wir schrieben eine nette Akkreditierungsanfrage, scherzten ein bisschen darüber wie es wohl wäre, als Punk/Rock/Metal-Fanzine nicht nur über DAS Avantgarde-Event schlechthin zu berichten, sondern unseren Namen auch noch auf der Presseliste neben international renommierten Zeitungen zu lesen, bis – bis die Zusage kam und genau das passierte. Der Rest ist Geschichte, beziehungsweise Konzertbericht.
Ich für meinen Teil habe noch heute den Mundschutz mit dem Klangwechsel-Logo, genauso wie die akribisch zusammengestellte Pressemappe mit der Aufschrift „Album der Woche“. Und ich muss immer noch lächeln, wenn ich an die skeptischen Blicke der anderen Journalisten denke, die den Typen im Hemd und Fjørt-T-Shirt nicht so richtig einzuordnen wussten. Der 5. September 2020 in Halberstadt wird mir wohl für immer als mein kuriosester AdW-Moment in Erinnerung bleiben – und nicht mal ein Daughters-Konzert könnte ihn vom Thron stoßen.