Buchrezension: "Straight Edge: A Clear-Headed Hardcore Punk History"
11.01.2022 | Johannes Kley
Wem "Straight Edge" gar nichts sagt, muss sich nicht dumm fühlen. Das Phänomen war in den USA am stärksten vertreten und hatte seinen Zenit in den 90er Jahren. Die Idee dahinter war recht simpel. Kids durften nicht auf Punkshows, weil Alkohol ausgeschenkt wurde. Also wurde ein "X" auf den Handrücken gemalt, um zu zeigen, dass an diese Person kein Alkohol verkauft werden darf und damit wurde das Problem umgangen. Gleichzeitig entwickelte die Jugend teils eine Abneigung gegen die weitverbreiteten Drogen und den Gruppenzwang, im Punk saufen zu müssen. Also setzten sich einige das Ziel, keinen Alkohol, kein Nikotin und keine Drogen zu sich zu nehmen. Es gab dann nach und nach weiterentwickelte Ziele wie Tierschutz, Veganismus, Anti-Abtreibung und Hare-Krishna-Geschwurbel, woran die Szene letztlich mehr oder weniger zerbrach.
Im Buch kommen beinahe alle wichtigen Vertreter der Bewegung zu Wort. Von den frühesten Vertretern bis zu Baseballspielern, die das "X" stolz auf ihrer Hand tragen. Musiker von Minor Threat, Youth Of Today, Earth Crisis oder Vegan Reich sprechen über eine Zeit des Umbruchs und wie sie versuchten, den Jugendlichen eine Alternative zu bieten. Dabei geht das Buch auch sehr offen mit den Problemen um, die die Szene hatte. Gewalttätige Gangs, Homophobie, Militanz gegenüber Nicht-Edgern, religiöse Einflusse und viele mehr verseuchten nach und nach die eigentlich guten Intentionen.
Das Buch ist leider nur auf Englisch (und Polnisch) erhältlich, aber da es nicht Tolkien geschrieben hat, sondern ein paar Punks zu Wort kommen, ist es sehr gut verständlich und sehr unterhaltsam geschrieben. Vor allem für Fans von Hardcore-Punk ist es ein interessantes Stück Geschichte, zeigt dieses Buch doch eindrucksvoll, wieviel eine Gruppe Jugendlicher bewegen konnte und Themen wie Veganismus tief im Hardcore verankern konnte. Auch, wenn die große Zeit des Straight Edge vorbei ist und für viele Menschen ein so enthaltsames Leben auch nicht in Frage kommt, ist es dennoch ein gutes Buch, um Dinge zu hinterfragen und sei es nur, vegetarisch zu leben. Ansonsten gibt es viele gute Bands zu entdecken.
Ich werde niemals so leben, wie es Youth Of Today oder Earth Crisis wollten. Ich mag Bier, meine (mittlerweile E-)Zigaretten und bin für eine Legalisierung aller Drogen, auch wenn ich sie selbst nicht konsumieren will. Straight Edge wollte, dass ein klarer Kopf der Lebensinhalt ist und das ist ja prinzipiell eine gute Idee. Veganismus und radikaler Tierschutz allerdings sind Themen, die ich absolut unterschreiben kann. Abtreibungsgegner sind Idioten, da gibt es nichts dran zu rütteln und auch einige andere Ideen der Bewegung sind zu verurteilen, aber das muss jeder Mensch für sich tun. "Straight Edge: A Clear-Headed Hardcore Punk History" lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und zeigt die Euphorie, aber auch die Abgründe auf und entführt in eine Zeit, als Hardcore-Punk noch mehr war als bärtige Jungs und Breakdowns, die nicht unbedingt viel zu sagen haben. Allein dafür lohnt es sich.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.