The Cure und "Songs Of A Lost World": Lieben, Verlieren und Vergehen
02.11.2024 | Frank Diedrichs
An The Cure scheiden sich die Geister. Der Einschnitt, der nach dem Album „Wish“ (1992) ihre Musik veränderte, ließ einen Teil der Fans und Kritiker:innen ablehnend zurück, zu stark waren die Impressionen, die durch Alben wie „Disintegration“, „Seventeen Seconds“ oder „Pornography“ hinterlassen wurden. Folglich konnten die Briten um Songwriter Robert Smith nicht an die Erfolge der genannten Ära anknüpfen. Ab 2010 tourte die Band dennoch wieder verstärkt, aber ein neues Album ließ auf sich warten. Nun sind mit den acht Tracks auf „Songs Of A Lost World” endlich wieder neue Songs veröffentlicht worden.
Das Cover des Albums ist das düsterste der Bandhistorie. Eine unfertig behauene, androgyn wirkende Büste treibt schwerelos im All, scheinbar vergessen und verloren. Augen und Mund sind erkennbar geschlossen, wirken aber entspannt, der Blick in sich gekehrt. Und so lässt sich ein Großteil der Songs auf dem Album deuten. Robert Smith richtet den Blick in eine innere vergessene Welt, die scheinbar unbeachtet dahintreibt. Der Mensch neigt dazu, bedrückende Themen wie Verluste, Trauer, Schmerz aber auch Liebe, in eine Welt einzuschließen, die dies alles vergessen lässt. Zu unangenehm oder verletzend kann die Auseinandersetzung sein.
Das Intro von „Alone“ erinnert ein wenig an „Plainsong“, den Song, der „Disintegration“ so atmosphärisch eröffnete. Über drei Minuten spiegeln das Keyboard, Synthie-Sounds, die Drums Jason Coopers und die Grunge-Gitarre von Reeves Gabrel das Alleinsein des Plattencovers wider, bevor Robert Smith verkündet, „this is the end of every song we sing“. Startet das Album demnach mit einem Abgesang auf die Band? Mitnichten, der Song hat bereits seit 2022 im Live-Repertoire einen festen Platz. Vielmehr stellt Robert Smith eine Verbindung zum Gedicht „Dregs“ des Poeten Ernest Dowson (1867-1900) her, aus dem die genannte Textzeile entstammt. Es geht um das Lied des Lebens, welches mit dem eigenen Tod verstummt. Dieses Motiv kehrt im letzten Song „Endsong“ wieder, wenn wir „left alone with nothing at the end of every song“. Die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit und der eigenen Sterblichkeit rahmen das Album ein.
Aber dazwischen sind Liebe, Trauer, Wut oder Schmerz. Und sechs Songs, die sich mit diesen Gefühlen, die auch unser Leben ausmachen, auseinandersetzen.
„And Nothing Is Forever“ gesteht die Vergänglichkeit des Lebens ein, möchte aber die Angst davor mit dem Versprechen auflösen, zum Zeitpunkt des Sterbens nicht alleine zu sein. Vordergründig ist es möglich eine Liebeserklärung an seine Frau Mary zu sehen. In einem Interview erläuterte Smith aber die Tragik dieses Songs, da er in der Vergangenheit einen Freund gegenüber ein solches Versprechen nicht einhalten konnte. Somit verarbeitet Robert Smith hier sehr Persönliches. Getragen wird dieser Song von Streicherklängen, cleanen Gitarren und einer Klavieruntermalung, die die an früherer Schwere erinnerde Stimme Smith‘ einhüllen.
„A Fragile Thing“ kommt ohne langes Intro aus. Die Liebe zerbricht und Smith bleibt nichts anderes, als sich diese Zerbrechlichkeit einzugestehen: „This love is a fragile thing“. Der Rest ist Schmerz, den Robert Smith auch hier mit einer Stimme Ausdruck verleiht, die nichts an Wirkung verloren hat. Musikalisch ist dies eher einer der unruhigsten Stücke. Höchstens die eingesetzten klirrenden Synthie-Sounds verdeutlichen die Zerbrechlichkeit.
Das atmosphärische „Warsong“ erklärt uns zwar die Ursachen für Kriege, nimmt uns aber sogleich die Hoffnung darauf, dass es jemals anders sein wird. Die Gitarre gleitet in die düstere Stimmung hinein, wird Teil von ihr und gleitet am Ende, der Bedrohlichkeit des Themas entsprechend, verzerrt hinaus und lässt den Hörenden ratlos zurück.
Der kürzeste Song und letztlich auch der thematisch modernste Song ist „Drone:Nodrone“. Nach Smith‘ Aussage überflog eine Drohne seinen Wohnsitz und er wurde sich der totalen Überwachung bewusst. Dieses Stück hinterlässt den Anschein, als dürften Gitarrist Reeves Gabrel und Drummer Jason Cooper spielen wie es ihnen gerade in den Sinn kommt. Sirenenhafte Riffs, wechselnde Rhythmen der Drums und dazu Synthie-Sounds, des Töne disharmonisch wirken. Alles klingt nach Chaos, aber wenn sich mensch letztlich überlegt, welche Gefühle Drohnen bei Menschen auslösen und hinterlassen, ist dies der richtige Sound für diesen Song.
Robert Smith verarbeitet in „I Can Never Say Goodbye“ den Tod seines älteren Bruders, zu dem er immer aufgeschaut hat. Der Regen zu Beginn des Songs und die schweren Gitarrenriffs ziehen die Hörenden sofort in den Sumpf aus Trauer, Verlust und Unverständnis. Der Tod, von Smith als „something wicked“ beschrieben, entreißt ihm seinen Bruder. Auch die versöhnlich klingen Klavierakkorde, die Simon Gallup anschlägt, werden schließlich vom nebulösen Gesang und Soundteppich verschluckt.
All I Ever Am” steht musikalisch im Kontrast zu den anderen Songs. Die Schwere in den Instrumenten verliert sich, die Stimme Smith‘ klingt lebendiger. Gefühlt zum ersten Mal nimmt mensch den Bass Simon Gallups wahr. Smith erkennt, dass die Vergangenheit gewesen ist und das Älterwerden im Jetzt stattfindet. Der Wunsch, Vergangenes zu verdrängen, somit nicht die Oberhand über das Jetzt zu erlangen, wird in der folgenden Erkenntnis eindrücklich beschrieben: „All I hold to in belief that all I ever am is somehow never quite all I am now“.
„Songs From A Lost World“ ist ein überraschend gutes Album geworden, welches vergangene Stärken in Sound und Stimme aufgreift, dennoch nicht als Wiederholung der Vergangenheit empfunden werden kann. Auch wenn die thematische Ausrichtung als „Cure“-typisch erscheint, ist die Auseinandersetzung mit dem Tod, der Liebe und der Vergänglichkeit von allem kein Abklatsch früherer Alben, sondern das Songwriting Robert Smith‘ besticht in der persönlichen Auseinandersetzung mit der Lebensphase, in der er sich befindet. Wenn Anleihen an „frühere“ Zeiten erkennbar sind, dann in der musikalischen Interpretation der Lyrics, die erkennbare Nähe zu den Alben aus den 80er- und frühen 90er-Jahre haben. Aber ob dieses Album das Ende der Band und der Musik dieser wegweisenden Band bedeutet, lässt sich zum Glück aus diesem Album nicht herauslesen.
Wertung
Ich bin mit The Cure groß geworden, habe zu „Boys Don’t Cry“ geweint, zu „Pictures Of You“ meinen Liebeskummer in diversen Substanzen ertränkt und zu „A Forrest“ meinen „Drei Schritte vor und zurück“-Tanzstil perfektioniert. Die Gefahr besteht, dass ein sogenanntes Spätwerk vieles entzaubert, besonders da die 2000er-Phase von The Cure milde umschrieben highlightarm war. Aber mit „Songs Of A Lost World“ gelingt es Robert Smith und Band musikalisch und stimmlich an „Disintegration“ oder „Seventeen Seconds“ anzuknüpfen. Die Besinnung auf den Sound, mit dem The Cure das auszudrücken vermag, was Smith lyrisch erschafft, klingt kraftvoll und vielfältig.
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.