Antilopen Gang und "Alles muss repariert werden": Den Punkern zu Rap, den Rappern zu Punk
03.09.2024 | Mark Schneider
Die Sympathien der Antilopen Gang zum Punk sind kein großes Geheimnis mehr. Bereits im Rahmen von "Anarchie und Alltag" erschien im Jahr 2017 das Bonusalbum "Atombombe auf Deutschland", welches unter anderem in Zusammenarbeit mit Bela B oder Wölfi von den Kassierern zwölf Punkrockversionen eigener Songs enthält. Auch auf der Bühne tritt die Gang seit geraumer Zeit nicht nur mit punkrockfähiger Band auf, sondern performt auch eigene, eigentliche Rap-Songs regelmäßig in neuem Gewand. Pogen auf Konzerten einer punkaffinen Hip-Hop-Kombo? Bei der Antilopen Gang ganz normal. Falls Neulinge am Start sind: Die Antilopen Gang besteht aus Koljah ("bester Mann der neueren Geschichte"), Panik Panzer ("Irgendein Tobias, der Musik macht") und Danger Dan, der in den vergangenen Jahren mit seinem Klavieralbum sowie unglaublich vielen ausverkauften Solo-Shows von sich Reden machte.
"Alles muss repariert werden" beginnt nicht nur mit den zehn für die Gang eher klassischen und raporientierten Nummern, sondern auch umso nachdenklicher. In "Nichts für immer" behandelt Koljah im Rückblick betrachtend den "Tag, an dem ich starb". Panik Panzer erzählt anschließend zuerst die Geschichte einer dritten Person mit all seinen Macken, um dann die eigene Fehlerhaftigkeit abzuhandeln. Danger Dan steuert wie so oft den gesungenen Refrain bei. Der Titel ist ein Werk gegen die Perfektion und legitimiert Unbeständigkeit: "Bleib mir treu dabei mir selber niemals treu zu bleiben. Leg mich darauf fest mich niemals festzulegen."
Der zweite und nochmal deutlich schwerer zu verdauende Track erschien schon vor einiger Zeit und hört auf den Namen "Oktober in Europa". Die LP-Version ist länger als die bereits veröffentlichte Single und bekommt mit Sophie Hunger einen Feature-Gast, deren Worte unter die Haut gehen. Im Gesamten scheinen die dargestellten Geschichten das Thema Antisemitismus holistisch zu behandeln, näher betrachtet erzählt die Gang jedoch Einzelschicksale. Es geht um Angst, Vorsicht, Alltagsbegegnungen und in den Augen Danger Dans auch fehlenden Einsatz der Gesellschaft.
Die Antilopen Gang wäre aber nicht die Antilopen Gang, wenn auf einer Veröffentlichung der Band nicht auch ordentlich selbstbewusst ausgeteilt würde oder weniger ernsthaftes zu Tage käme. Noch vor einigen Jahren wurde gegen Größen wie Prinz Pi geschossen, heute gewinnt die Gang zumindest in den eigenen Augen ausnahmslos jeden direkten Vergleich. Der dazugehörige Track "Direkter Vergleich" bildet zusammen mit "Das Leben ist schön" die augenzwinkernde Mitte der ersten Albumhälfte. Metallica, Macklemore, Mozart und Fanta 4 in eine Zeile zu packen und die Ohrenamputation als angenehmere Option zu nennen sorgt genauso für ein Schmunzeln wie die Entwicklung von "Das Leben ist schön", in dem man einiges über die drei Protagonisten der Antilopen Gang erfahren kann, sofern denn alles besungene stimmt. So viel vorweg: Der Titel endet mit Blutvergießen. "Alter Wegbegleiter" als "kein Drogenpädagogiklied" behandelt dann noch einmal ein ernsteres Thema und die Verhaltensweisen im Suchtverhältnis, bevor "Wenn das hier vorbei ist" im typischen Stil der Gang das offenbart, was passieren könnte wenn die Antilopen-Kuh abgemolken und die Band vor die Wand gefahren ist: Danger Dan wird Tretboote vermieten und sein Bruder Panik Panzer eröffnet Autohäuser und macht Solo nach der Entzweiung mit den Kollegen in Garmisch-Partenkirchen weiter. Ist klar.
Wer in den letzten Monaten ein Konzert der "Lopigang" besucht hat kann sich schon ganz gut vorstellen, was auf der zweiten Albumhälfte auf uns wartet. "Oberbürgermeister" und "Muttertag" sind bereits seit einiger Zeit im Internet hörbar, jetzt gesellen sich zehn weitere Punknummern hinzu, welche allesamt aus der Feder der Antilopen Gang stammen und im Gegensatz zu damals keine Neuaflagen eigener Songs sind. Diese Songs wurden als Punknummern geplant und umgesetzt. In guter alter Manier knackt keiner der Songs die Drei-Minuten-Marke und allesamt behandeln die verrücktesten Themen.
Da ist zum einen "Ich helfe nicht bei Umzügen", der sich schon im Namen selbst erklärt und jeder Person aus der Seele spricht, die bereits für andere Leute Kisten und Möbel durch die Gegend geschleppt hat. "American Fitness am Hermannplatz" beschreibt dieses neumodische Phänomen mit den Bleigewichten und den Eiweißshakes, "Ruhrpott Rodeo" wird wohl auf kurz oder lang zur Hymne dieses Festivals mutieren und "Netter Nachbar" beschreibt ein Nachbarschaftsverhältnis, welches laut den besungenen Befürchtungen nicht unbedingt gut ausgehen wird. Dieser letztgenannte Titel sowie "Weg von hier" und "Mord auf dem Kreuzfahrtschiff" sind nicht nur astreine Ohrwürmer, die man in jede Punkrockplaylist schmuggeln kann, sondern vor allem die Geschichte über das Dasein als Toyboy für eine ältere Dame auf dem Kreuzfahrtschiff kann die Gang im Refrain einfach nicht leugnen. Hier bricht der typisch eigene und auch so oft in der Vergangenheit gehörte Sound der Antilopen Gang dann einfach durch. Unter dem Strich ist die Antilopen Gang mit der zweiten Hälfte von "Alles muss repariert" werden sogar legitim für Punkfestivals buchbar, ohne dass der unwissende Teil des Publikums sich kopfschüttelnd abwenden wird.
Wertung
Endlich bringt die Antilopen Gang auf einem Doppelalbum zusammen, was schon lange zusammen gehört. Vor allem die im Stil des Punkrock performten, eigentlichen Rapnummern waren die erfrischendsten Momente der letzten beiden von mir besuchten Konzerte der Gang. Die Werke der Antilopen Gang begleiten mein Musikkonsumentendasein jetzt bereits über 13 Jahre lang und gefühlt verändert sich mit jedem Kapitel der Bandgeschichte so viel, ohne dass mich irgendetwas nennenswert nervte oder von diesem Weg abgebracht hat. Und das ist wirklich wenigen gelungen.
Wertung
Antilopen Gang setzen endlich ein Zeichen und liefern zwei für sich allein schon grandiose Teilalben als Einheit, Verschmelzung und Symbiose von Rap und Punk ab. Und damit zeigen sie wiedermal allen ideologisch-bornierten Szene-Sprecher:innen, dass ihnen die gegenseitige Ablehnung von Punk und Rap am A*sch vorbei geht. Die Band rapt und grölt auch auf diesem Album wieder unglaublich starke Texte, die sich zwischen Nonsens und gesellschaftlich-politischer Kritik bewegen. Die Rap-Songs sind gewohnt vielfältig komponiert, während der Punk der zweiten Hälfte so roh und reduziert wirkt, als sei er aus den späten 70ern adaptiert. Einer meiner absoluten Favoriten für das Album des Jahres...
Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.