Hörbuchbesprechung - Ein Hörbuch Namens Kotze
10.03.2021 | Moritz Zelkowicz
Man erinnere sich zurück an eine andere Zeit. Kassetten sind das Medium der Stunde und halten seit Jahren Einzug in die Kinderzimmer und Musikanlagen der Republiken. Tausendfach werden die literarischen Größen aller Länder von „Karussell“ auf ein Band gepackt und unterlegt mit noch älterer klassischer Musik. Hochkultur. Doch dann, gefühlt hunderte Jahre später. Ein Samtbeute, darin weder eine Kassette, keine Platte, es ist ein USB-Stick. Ein 28-seitiges Booklet, eine Mini-Postkarte, ein Button, ein Bierdeckel und drei zugegeben sehr süße Aufkleber. Zu hören sind auf diesem USB-Stick keine honorigen Sprecher wie Eberhard Esche, Ilse Bally oder Chariklia Baxevanos. Es sprechen unter anderem MC Motherfucker, Luise Fuckface, Flöter und einige mehr. Einzig Jörkk Mechenbier verspricht vielleicht ein wenig Kultur. Denn die musikalischen Einspieler sind nicht von Chopin, Rachmaninow oder Debussy, sondern von der Terrorgruppe, Lulu & die Einhornfarm, Pascow, Toxoplasma und weiteren mehr. Allerdings gibt es doch eine Parallele.
Gräbeldingers entnommene Geschichten handeln ebenfalls vom menschlichen Scheitern. Von Abgründen, aber auch von Hilfe, Selbsthilfe und dem Wiederaufraffen. Manchmal zum Heulen, manchmal zum Kotzen, manchmal zum Lachen. Einfach aus dem Leben mit Angst und Depression. 21 Episoden wurden aus den Büchern „Bald ist Weltuntergang, bitte weitersagen“ und „Verloren im Weltall, verwahrlost auf Erden“ entnommen. Ob es die besten Geschichten sind muss ein jeder selbst entscheiden, lest dazu aber gerne die Buchrezension von Lucio aus den Anfangstagen dieses Magazins.
Dieses Hörbuch ist kein Werk der Hochkultur. Es ist dreckig, verwegen, rau und kaputt. Oder vielleicht ist es genau deshalb so hervorragend. Denn es beschönt nichts, verschweigt nichts, rechtfertigt nichts. Es ist einfach ein Sittengemälde aus einer kaputten Seele, die sich danach sehnt, nicht kaputt zu sein, die sich danach sehnt, sich selbst lieben zu dürfen. Bisher gibt es zu Gräbeldingers Büchern ein Hörbuch, gelesen von dem hervorragenden Oliver Korittke, der als Schauspieler natürlich bekannt ist und als Hörbuchsprecher bereits die Biografie von Carlo Pedersoli alias Bud Spencer vertont hat. Dass diesmal aber bekannte Gesichter aus dem deutschen Punk diese Geschichten einlesen, eben keine Profis im Hörbuch- oder Synchronbusinness, verleiht ihnen nochmal eine krasse Authentizität. Denn es bleibt das Raue, es bleibt das Unsaubere, es bleibt was Echtes.
Das „Hörbuch namens Kotze“ ist ein bluttriefendes Pflaster auf einer geschundenen Seele. Es zeigt einen liebenswerten Protagonisten, der über sich selbst lachen, aber auch urteilen kann. Ein großartiges Werk in einem wunderschön gestalteten Set.
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.