“Kein ruhiges Hinterland” ist das Motto des Abends. Im ausverkauften Jugendzentrum Café Taktlos herrscht sichtliche Aufregung, überall wuselt die Crew des Zentrums durch die mit Plakaten und Parolen tapezierten Räume. Schon der erste Eindruck stimmt mich froh, solche Locations sind immer etwas besonderes. Hier wird Antifaschismus gelebt und gearbeitet. Gerade im sächsischen “Hinterland” drängen die faschistischen Strukturen von AfD, III. Weg und anderen Splitterorganisationen immer tiefer in die bürgerlichen Gesellschaftsstrukturen vor. Darüber klärt im Vorfeld ein Vortrag auf, während sich das Gebäude stetig füllt.
Im kleinen Konzertraum macht sich indessen die Ska-Punk Band 100 Kilo Herz bereit. Die Leipziger Kapelle hat ein gutes Dutzend an Fans direkt mit im Gepäck, die ab der ersten Sekunde durchdrehen. Es dauert demnach auch nicht lange, bis das erste Bier den gefliesten Boden benetzt und auch der erste umgekippte Gerstensaft auf der Bühne für feuchte Füße sorgt. Egal, heute ist hier Punkrock angesagt, keine Zeit zum Wischen. Vielmehr bin ich beeindruckt, wie die sieben Bandmitglieder mit Backline und Schlagzeug überhaupt auf die kleine Bühne passen. Auch egal, der eingängige Sound fetzt einfach und lässt das Publikum pogen. Mittlerweile steigt die Temperatur und Luftfeuchtigkeit direkt proportional und sorgt für ein Sauna-Feeling. Ich schwitze, ich rieche meinen Nachbarn im Feine-Sahne-Fischfilet-Shirt und der rutschige Boden verhindert, dass ich einfach nur dastehen kann – herrlich!
Radio Havanna sind die zweite Band des Abends und wohl auch der Grund für viele Auswärtige wie auch mich, sich nach Glauchau zu begeben.
"Ein Grund ist, dass wir vor fünfzehn Jahren, also 2004 schonmal da waren und uns im Cafe Taktlos sehr wohl gefühlt haben. Der zweite und viel wichtigere Grund ist aber, dass wir Punks, Punkrocker, Zecken und aktive Leute in ländlichen Gegenden unbedingt unterstützen wollen. In Gegenden, in denen es viel schwerer ist, über Jahrzehnte einen linken Jugendclub oder ne Kneipe zu führen oder Konzerte zu organisieren als in Berlin, Hamburg, oder Köln. Wo Ärger mit der örtlichen CDU, den Bullen, dem Ordnungsamt oder Nachbarn zum Alltag gehört.
Wir kommen selbst aus so einem Ort und wissen, wie es ist, selbst simple Dinge wie eine Demo oder ein Konzert unter freiem Himmel gegen Widerstände in den Behörden durchsetzen zu müssen. Wo Springerstiefel-Nazis keine schaurigen, aber abstrakten Figuren aus dem Tatort oder von der Spiegel-Online-Seite waren, sondern mit dir im Bus fahren. Deine Nachbarn im Wohnblock sind. Oder deine Banknachbarn in der Schule. Und das war in Thüringen ganz sicher nicht so anders als in Sachsen." - Radio Havanna // facebook.com
Radio Havanna gehören für mich eindeutig in solche Schuppen. Natürlich ist es nicht finanziell reizvoll, solche Gigs zu spielen, aber der eingängige Pop-Punk der Hauptstädter entfaltet sich erst hier wirklich. Das Publikum eskaliert schon direkt beim Opener “Flüstern, Rufen, Schreien” und das Bock-O-Meter der Band zeigt auch direkt den oberen Bereich an. Es groovt sich auch direkt schön ein. Na klar, wenn du in einem linken Laden Lieder gegen Nazis singst, ist das eigentlich auch schon vorprogrammiert. Mittlerweile stapeln sich die Menschen im kleinen Moshpit und die Menge beweist Textsicherheit. Daraus ergeben sich später auch Synergieeffekte beim Song “Dynamit”, bei dem Sänger Fichte kurz ein paar Zeilen entfallen.
Für regelmäßige Besucher von Radio-Havanna-Shows ist wenig überraschendes dabei. Aber das ist auch gar nicht schlimm. Das obligatorische Prinzen-Cover “Alles nur geklaut” ballert hier natürlich noch mehr. Etwas überrascht bin ich, dass es die Konfetti-Kanonen auch bei der Deckenhöhe von 3,40m ins Set geschafft haben. Froh bin ich wie immer über die Pfeffi-Runde und auch das Tragen von Nicolas Dinkel Schauspieler im Superman-Bademantel darf nicht fehlen.
Den Rausschmeisser spielen die aus Graz angereisten Missstand. Die Band spielt schnörkellosen Punkrock und das kommt gut an. Irgendwie schaffen es immer noch genug Menschen, ihre Kräfte zu mobilisieren und ein ums andere Mal entern Wagemutige die Bühne, um diese gleich wieder crowdsurfend zu verlassen. Und irgendwann geht auch dieser Abend zu Ende. Glückliche Gesichter wo ich hinschaue, dieser Konzertabend wird noch lange im Gedächtnis bleiben.