Der Club Bahnhof Ehrenfeld in Köln, kurz CBE, ist ohne Zweifel eine besondere Location. Der Club befindet sich direkt unter den Schienen des S-Bahnhofs Ehrenfeld und wurde in das Gewölbe dort eingefügt. Betritt man den CBE, unterteilt sich die Location in zwei Bereiche: Ein Bereich mit Bar, Toiletten und Sitzgelegenheiten und ein weiterer Bereich als Konzertsaal mit einer weiteren Bar. Es ist also ganz unkompliziert, sich auch während des Konzerts mal schnell ein Bierchen oder ein Softgetränk zu ziehen. Sollte man zumindest meinen. Dazu später mehr.
Die „Goldene Zeiten“-Tour von Liedfett umfasst inklusive einem Zusatzkonzert in Hamburg ganze 21 Shows. Bis zum heutigen Abend in Köln waren alle davon bereits restlos ausverkauft. Köln ist es an einem Mittwochabend ebenfalls. Als Support auf der Tour ist John Winston Berta, ein laut Liedfett-Gitarrist Lucas Uecker gerade einmal zwölf Jahre alter Multiinstrumentalist mit auffälligen roten Locken am Start. Da kommen aber gut und gerne nochmal zehn Jahre oben drauf. Obwohl nur ein paar Hände voll Menschen im Konzertraum verweilen, sitzt John bereits mit einem Bass bewaffnet auf der Bühne und gibt nur mit der Unterstützung des Keyboarders Lennart Smidt seine Songs zum Besten.
Viele Gäste staunen nicht schlecht, über welch besondere Stimme der junge Kerl verfügt. Auch der Mix aus lediglich Bass und Keyboard funktioniert einwandfrei und kommt gut an. Irgendwann wundert sich John selbst, woher die ganzen Menschen vor der Bühne auf einmal kommen („kaum geht das Licht mal wieder an, ist der Laden hier voll!“). Der CBE platzt bereits vor dem Auftritt von Liedfett aus allen Nähten. Zum Song „Delmenhorst“, im Original von Element Of Crime sowie zwei Songs von Lucas Ueckers Soloplatte stehen Lucas, Daniel und Mr. Love von Liedfett zusammen mit John und Lennart auf der Bühne. Daniel, eigentlich Sänger bei Liedfett, spielt bei „Delmenhorst“ sogar die Drums.
Zu „Der Grund“ und „Fassade“ von Lucas Uecker übernimmt John selbst das Schlagzeug. Ein Multiinstrumentalist vor dem Herrn. Was im Publikum zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Da der eigentliche Liedfett-Schlagzeuger Philipp Pöhner bei seiner schwangeren Freundin in Hamburg verweilt, wird John auch die Liedfett-Show trommeln. Da auch Lennart später einen Großteil der Liedfett-Show begleiten wird, stehen also bereits bei den letzten Stücken der Vorband eigentlich Liedfett selbst auf der Bühne.
Die Wartezeit auf den Auftritt von Liedfett wird von Vorsängern verkürzt, die wie im Fußballstadion leicht mitzugröhlende Melodien durch ein Megafon brüllen. Auch hier macht das größtenteils angeheiterte Kölner Publikum munter mit. Am Anfang übernimmt Daniel von Liedfett die Sache selbst, im Anschluss gibt er das Megafon aber ab und bereitet sich Backstage auf die Show vor. Die Hamburger Truppe betritt unter großem Applaus die Bühne im Kölner CBE und eröffnet mit „Ruf mich an“ die Show. Wer Liedfett bereits live erlebt hat bemerkt schnell einen gravierenden Unterschied zu sonst: Lucas hat die Akustikgitarre gegen eine elektronische getauscht. Dementsprechend klingen auch Liedfett heute Abend lauter und härter als sonst, was der Stimmung im Publikum und der vom ersten Song an einsetzenden Eskalation vor der Bühne aber nicht schadet. Im Gegenteil!
Bis auf die härtere Ausrichtung der Songs nimmt das Konzert den erwarteten und gewohnten Verlauf. Liedfett sind nach eigener Aussage eine Mitmachband und Köln nimmt das sehr ernst. Jeder Song wird inbrünstig mitgesungen, der ganze Club klatscht an den passenden Stellen und vor der Bühne tobt ohne Unterbrechung ein Moshpit. Bis auf die ruhigeren Titel wie „Kopf Frei“ oder „Scheitern“ ist das der Dauerzustand. Da Lucas seine E-Gitarre immer mal wieder stimmen muss, nutzt Daniel die Pausen in alter Gewohnheit zum „Scheiße sabbeln“. So erfahren die Gäste vom Saunabesuch der Band am Nachmittag in Leverkusen und der Tatsache, dass der eingeladene Betreiber Sven anscheinend trotz Einladung nicht vor Ort ist. Auch wenn die Temperaturen sich langsam denen eines Saunaaufgusses annähern und bei Band und Fans immer mehr Shirts fliegen: Sven verpasst was, auch wenn nackte Haut und Hitze sein tägliches Tun und Handeln sind.
Die Setlist beinhaltet heute alles, was das Herz eines Liedfett-Fans begehrt. Ob „Billiger Wein“ „Sowie du bist“, „Gib mir dein Finger“, „Ball“, „Kommst du mit?“ oder „Körperliche Selbstverteidung“, die Crowd kann jeden Text bis auf die letzte Zeile auswendig und teilt das der Band auch lautstark mit. Zwischen den Titeln skandieren die Fans immer wieder Liedfett-typisch „Ehrenfeld, Ehrenfeld, asozial!“, „Reinbügeln! Reinbügeln!“ und ein Ausnahmefall unter den Fans immer wieder „Lucas Uecker asozial!“ Lucas greift das ganze sogar auf und teilt unter großem Gelächter mit, dass er sich selbst gar nicht so asozial findet. Daniel ergänzt, dass er diese Selbsteinschätzung so nicht stehen lassen kann, da er Lukas vom Spielen des Trinkspiels „Historische Schilder“ auf den Fahrten von Stadt zu Stadt kennt. Immer wenn ein großes, braunes Schild am Rand der Autobahn steht, muss der Busfahrer langsam fahren und alle Insassen trinken. Das Spiel verfolgt den Zweck, Alkohol zu trinken und gleichzeitig etwas über Deutschland und seine Kultur zu lernen. In diesem Sinne teilen Liedfett zum Ende des Konzerts brüderlich ihren Wodka und Wein mit den Fans vor der Bühne. Inklusive drei neuen Songs spielen Liedfett heute Abend circa zwei Stunden auf höchstem Niveau. Die neue Single „Geil Geil Geil“ kündigt die Band für „circa Nikolaus“ an.
Trotz all dem Spaß bleibt auch heute Abend Platz für ernste Themen. Am Merch-Stand können die Gäste für Sea Watch spenden. Aus Solidarität mit der Organisation performen Liedfett den Song „Blätter“ mit orangenen Schwimmwesten. Den einen oder anderen Euro dafür dürfte das Kölner Publikum beim Getränkeverzehr gespart haben. Der Weg aus den ersten Reihen an die Theke am Ende des Konzertraumes (und vor Allem wieder zurück!) war aus eigener Erfahrung ein absoluter Kampf durch den randvollen Club. Die Abkürzung durch das Moshpit ein echter Geheimtipp. Wer Liedfett im Jahr 2019 auf der Bühne erlebt, bekommt den gewohnten Mix aus Mitmach-Musik und „Scheiße sabbeln“, nur in einem härteren Gewand als vorher.