Doch bevor es in der Kölner Schanzentraße später um Kettcar gehen wird, fangen wir ganz von vorne an. Ich erreiche die Domstadt heute trotz Feierabendverkehr und Verkehrsbeeinträchtigung überraschend unkompliziert mit dem Auto. Auch in der Schanzenstraße rund um Palladium und E-Werk ist mittlerweile alles Routine: Parkplätze checken und wenn die kostenfreie Variante nicht mehr klappt in den sauren Apfel beißen und 5€ zahlen. Im Hinterkopf dabei schon der Gedanke daran, dass die Abreise dafür später genauso unkompliziert verlaufen wird. Anschließend durch die immer freundliche Sicherheitskontrolle und rein ins Vergnügen!
Im Palladium selbst ist eigentlich alles wie immer. Die Location besticht, vor allem wenn es vor Ort noch etwas leerer ist, durch ihren industriellen Charme. Es läuft relativ leise Begleitmusik, die Menschen kommen nach und nach an bevölkern vorerst noch die Bars, anschließend immer mehr den Innenraum. Für mich selbst ist es heute eine spontane Premiere, da ich zum ersten Mal kurzentschlossen den Weg auf die Empore nehme. Beim letzten Besuch bei Kettcar in Düsseldorf war ich im Innenraum dabei, heute entscheide ich mich, da bei meiner Ankunft der Betrieb im "Oberrang" überschaubar ist, die eher beobachtende Position einzunehmen und die Auftritte bei bester Sicht zu genießen. Bei der Entscheidung dafür spielt auch eine Rolle, dass ich die Empore des Palladiums noch nicht kenne und für zukünftige Besuche als potenzielle Möglichkeit noch gar nicht bewerten kann.
Zurück zum Geschehen: Als Support haben Kettcar heute zum letzten Mal auf dieser Tour Shitney Beers dabei, die die Bühne pünktlichst betreten und vom noch etwas verhaltenen Kölner Publikum mit Applaus im Empfang genommen werden. Die Band steht ebenfalls beim Label Grand Hotel van Cleef unter Vertrag und ist schlichtweg überwältigt davon, was hier heute Abend los ist: "Das ist das größte Publikum vor dem wir jemals gespielt haben!" Musikalisch geht es bei der Band melodisch und eingängig zu, die Stimme von Maxi dominiert und es sind sogar einige Menschen im Publikum anwesend, die textsicher am Start sind und die eine oder andere Blödelei zwischen den Titeln mit Spaß bei der Sache mitmachen. Aprospos GHvC: Den Augen von Shitney Beers bleibt David von Fjørt auf der anderen Seite der Empore nicht lange verborgen, spätestens nach dem Ausruf "Da ist David! Der ist von Fjørt!" geht es dem Rest dann genauso und es ruhen wohl alle Augen innerhalb der Saaltüren kurz auf dem Labelkollegen rechts oben. Shitney Beers spielen etwa 45 Minuten und betonen immer wieder ihre Dankbarkeit dafür "dass ihr so lieb seid!".
Als Kettcar selbst den Beginn ihres Auftritts durch Ausschalten der Saalbeleuchtung ankündigen, darf das Wort "Applaus" nicht mehr ohne den Zusatz "tosend" verwendet werden. Ehe ich mich versehe steht die Band um Sänger Marcus Wiebusch "da oben" (ich schaue ja auf sie herab) und beginnt die Show mit "Auch für mich 6. Stunde", der gleichzeitig das aktuelle und auf Nummer 1 der deutschen Albumcharts eingestiegene Album "Gute Laune ungerecht verteilt" eröffnet. Köln ist trotz der kurzen Zeit zum Auswendiglernen seit Release der Platte sofort da und spätestens nach den folgenden zugegebenermaßen dazu einladenden Nummern "Benzin und Kartoffelchips" sowie "Money Left To Burn" hat die Band ein Gefühl dafür, wie viel Wucht heute Abend im Palladium steckt. Bei "Balkon gegenüber", heute ohne die vom Live-Album bekannte zweite Strophe, überlässt Marcus dem Publikum einen großen Teil der Texte, was eine einzigartige Atmosphäre im Saal schafft. Kettcar ziehen den Auftritt zwischendurch immer wieder als Zeitreise auf und schmücken diese mit Anekdoten zur jeweiligen Zeit, Songs oder Alben aus. Marcus und Reimer erzählen zum Beispiel vom Jahr 2002, als die Band im damaligen Underground in Köln vor einigen wenigen Menschen auftrat und gerade das erste Album im Gepäck hatte. Dazwischen und bis zum heutigen Tage ist viel passiert, was die Gäste erfahren und aufgrund der immer passenden Songs sofort nachempfinden können.
Reimer Bustorff vermutet zwar aufgrund der ausverkauften Halle es sei schon wieder Gamescom in Köln, doch es sind wirklich Kettcar, die heutzutage mit Leichtigkeit 4.000 Menschen zusammenbringen können. Und diesen 4.000 Menschen wird einiges geboten, da die Band die angefangene Zeitreise konsequent durchzieht. Die weitere Setlist erstreckt sich unter anderem über "Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)", "München", das laut Reimer beinahe "Köln-Ossendorf" gehießen hätte, "Balu", "Der Tag wird kommen" oder "Landungsbrücken raus" als letzter Titel vor dem Zugabenteil. Zwischendurch finden weitere Songs des neuen Albums ihren Platz im Programm, aber auch "Im Taxi weinen" als Beispiel für einen sehr alten und "Ankunftshalle" als Beispiel für einen etwas neueren Song aus der Zeit zwischen dem ersten und dem aktuellen Album. Zwischendurch wird, vor allem wenn Reimer Bustorff das Wort ergreift, viel gelacht ("Meine Mutter ist die härteste Kritikerin dieser Band"), erläutert und vor allem gedankt. Im Hintergrund laufen Musikvideos oder Livebilder von Band und Publikum. Mir selbst fällt es nicht nur schwer Kritik an der Setlist und dem Auftritt von Kettcar zu formulieren, es ist mir sogar schlichtweg nicht möglich. Auch am Sound auf der Empore, eine kleine Sorge von mir im Vorhinein, kann ich nichts beanstanden. Schließlich folgen drei Zugaben und "Deiche" (was sonst?) als Abschluss eines großartigen, stimmungsvollen und emotionalen Konzerts. Dass ich im Sommer bei einem weiteren Open-Air-Konzert von Kettcar dabei sein werde, ist spätestens ab heute Abend ein Grund für riesige Vorfreude.