Noch ein kurzes Wort mit dem Tonmann, dann verschwindet Nikolay Komiagin hinter dem Vorhang und macht sich bereit für den Auftritt. Seine Band Shortparis spielt heute im Indra, eines von zwei Konzerten beim Hamburger Reeperbahn Festival. Sie sind so etwas wie die inoffiziellen Botschafter ihres Landes, denn selbst in dem überaus vielfältigen Programm des großen Musikindustrietreff auf dem Kiez finden sich kaum Acts aus ihrem Heimatland Russland. Hinter Nikolay auf der Bühne sitzt ein stämmiger Drummer in einem Eishockey-Trikot, umringt von seinem E-Gitarristen, dem Keyboarder und einem weiteren Trommler mit wasserstoffblonden Haaren und durchsichtigem Netzhemd. Nikolay hat sich für den Auftritt ein schwarzes Blümchenhemd herausgesucht. Mit durchdringendem Blick betrachtet er sein Publikum, ehe das Licht ausgeht und die Show beginnt. Was folgt, ist weniger ein Konzert als eine sakrale Messe. Mit ekstatischem Blick hält Nikolay das Publikum gefangen, während er im theatralischem Tenor über düster-elektronische Instrumentals singt und sich, seinen Trommler, und später das Publikum in wilde Zuckungen versetzt. Am Ende blickte er verschwitzt und mit unverändert durchdringendem Blick in eine begeisterte Zuschauermenge. Nur wenige hatten seine Band wohl bereits vor dem Konzert auf dem Zettel gehabt, oder überhaupt irgendeine russische Musikgruppe.
Für Bands aus dem größtem Land der Welt ist es augenscheinlich schwer, in der „westlichen“ Kulturlandschaft Fuß zu fassen. Wenn überhaupt mal eine Band auf Aufmerksamkeit stößt, dann im Kontext von politischen Skandalen. Pussy Riot sorgten 2012 für so einen Skandal. Die drei Punkerinnen hatten bei einem Guerilla-Auftritt in der zentralen orthodoxen Kirche Moskaus die Allianz von Staat und Kirche und insbesondere Vladimir Putin kritisiert. Für sie endete die Aktion im Arbeitslager. Inzwischen sind die drei Frauen zwar wieder auf freiem Fuß, wenngleich „frei“ in diesem Zusammenhang eine relative Bedeutung hat. Erst kürzlich wurden sie bei einem Videodreh in St. Petersburg von der Polizei gestoppt. Das Video sei illegal, da es „Homosexualität propagiere“ und zu Extremismus aufrufe, hieß es. Der dazugehörige Song sollte unter anderem vom Widerstand gegen die Polizeigewalt handeln.